I. ZUR GESCHICHTE DES BUSS-SAKRAMENTES

Die Vollmacht, die Vergebung der Sünde zuzusprechen, ist tatsächlich das Geschenk des auferstandenen Christus. "Empfangt den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlasst, denen sind sie nachgelassen. Welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten", sagt Jesus am Ostertag den Jüngern (Joh 20,22-23). Und bei Mt (16,18 und 18,18) lesen wir: "Was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein." Darauf hat die Kirche immer das Bußsakrament zurückgeführt. Nun dürfen wir uns das nicht so vorstellen, dass die Apostel sich anschließend in den Beichtstuhl gesetzt und Beichte abgenommen haben - der uns vertraute Beichtstuhl kommt erst im Spätmittelalter auf und erlangt erst im 17.Jahrhundert die uns gewohnte Form mit doppeltem Zugang für die Beichtenden. Nein, sie haben im Geiste Jesu die "Umkehr" gepredigt und die Vergebung der Sünde zugesprochen - in der Taufe! Diese war die eine und große Umkehr.

Aber es kam, wie zu erwarten: Auch nach der Taufe fielen schon "umgekehrte" Christen wieder in Sünde. Gab es für sie eine, wie man dann sagte: "zweite Umkehr"? Anfangs hat die Kirche geschwankt und eher zu unerbittlicher Strenge geneigt: Wer das überwältigende und ganz und gar unverdiente Geschenk der Versöhnung mit Gott wieder verscherzt, dem ist nicht zu helfen. Ein zweites Mal wird es nicht erwiesen. Spuren dieser Auseinandersetzung finden wir noch oder besser: schon im Neuen Testament (z.B. Heb 10,26-31 im Vergleich mit Offb 2,5. 16. 21; 3,3. 19). Aber je größer die Kirche wurde, desto mehr begriff sie: Man musste im Geiste Jesu etwas für die wieder Gefallenen tun. So gab es dann die "zweite Umkehr". Aber zu erschwerten Bedingungen! Und auch dies nur ein einziges Mal! Bald hatte man schöne Bildworte dafür: Die erste Umkehr, die Taufe, geschieht im Wasser - die zweite Umkehr in den eigenen Tränen. Die erste Umkehr ist wie ein Schiff, auf dem man sicher und bequem das Meer überquert. Die zweite Umkehr ist wie eine Holzplanke, an der man sich nach dem Schiffbruch des Taufschiffes mühsam anklammert, um nicht zu ertrinken. Was ist gemeint? Die zweite Umkehr ist noch nicht unser heutiges Bußsakrament, sondern die sog. "große Kirchenbuße". Die Kirche distanzierte sich sehr drastisch von dem Versager: Er musste im Gottesdienst einen eigenen Platz einnehmen, sich entsprechend kleiden, die Eintretenden um Fürsprache bitten, viel beten, fasten, in der Ehe enthaltsam sein, oft auch auf Körperpflege verzichten - und wenn er das alles Wochen, Monate, vielleicht Jahre getan hatte, wurde er in einem öffentlichen Versöhnungsgottesdienst wieder als Vollmitglied in die Gemeinde aufgenommen.

Warum diese Strenge? Es zeigt sich hier der bis heute gültige zweite Sinn des Bußsakramentes: Der Glaube macht uns zu neuen Menschen. Wenn nun Christen nur ein schlechtes Beispiel des neuen Lebens aus dem Glauben geben, wie sollen das andere dann nicht dem Glauben selbst zur Last legen? Deswegen muss die Kirche öffentlich demonstrieren: Das Verhalten dieses Christen entspricht nicht dem, was wir als unseren Glauben verkünden. Und der sündige Christ muss einsehen, dass er die Verkündigung der Kirche kompromittiert, blamiert, ins Zwielicht gebracht hat. Das heißt: Er hat nicht nur vor Gott etwas gut zu machen und dessen Vergebung zu erbitten, er hat auch an der Kirche etwas wieder gut zu machen - durch die öffentliche Demonstration seiner Einsicht in sein Versagen.

Das hat zwei Folgen, die bis heute weiterwirken. Die eine: Nur wirklich schwere Sünden unterliegen der großen Kirchenbuße. Und das hieß damals: nur öffentlich bekannte oder nicht zu verbergende Sünden wie Glaubensabfall, Ehebruch, Mord. Um die rein innerlichen Sünden, die ja (wie schon Augustinus ausdrücklich feststellt) viel schwerer sein können, hat man sich nicht gekümmert, das war Gegenstand des persönlichen Gesprächs unter Christen. Und die andere Folge: Genau dies, die öffentliche Blamage der kirchlichen Verkündigung durch den Sünder, war auch der Grund, warum nur der kirchliche Amtsträger im Namen der Gemeinde sagen konnte: Nun ist es genug, du bist, soweit es die Kirche betrifft, von deiner Sünde gelöst, du bist wieder mit der Kirche versöhnt - und darin selbstverständlich mit Gott, ohne dass man hier eine Frage nach der zeitlichen Reihenfolge stellte. Sie merken, wie von hier eine Verbindungslinie zu den erwähnten Bestimmungen des Konzils von Trient verläuft.

Was wird nun ein nachdenklicher Christenmensch oder auch ein christlicher Schlaumeier angesichts dieser Strenge tun? Er wird im Fall einer bußpflichtigen Sünde die Buße hinausschieben - immer mehr, bis in die Nähe des Todes, wo man sich ein wenig jenseits von Gut und Böse fühlen darf. Das Sakrament der Versöhnung wurde - guten Glaubens, aber mit verheerenden seelsorglichen Folgen - zum Sakrament der Todesvorbereitung. Das konnte nicht so bleiben. Abhilfe kam aus dem hohen Norden - aber eigentlich aus der Ostkirche. Dort hatten die Mönche in ihren Klöstern die Ohrenbeichte eingeführt. Das hatten Mönche in Irland und Schottland - man nennt sie daher die "iro-schottischen Mönche" - übernommen. Und die missionierten bekanntlich - ich nenne nur den Namen Bonifatius - seit dem 6.Jahrhundert die Gegenden nördlich der Alpen, die nach dem Abzug der Römer großenteils wieder heidnisch geworden waren. Und führten dabei die ihnen vertraute Ohrenbeichte ein! Was war die Folge? Nicht etwa große Freude über eine glänzende Idee, sondern geharnischter Protest von zahlreichen Synoden, die meinten, die neue Form des Bußsakramentes weiche die alte Strenge auf und sei eine Buße zu ermäßigten Preisen. Aber wie es so geht: Das Leben war stärker. 600 Jahre später war die einst verdammte Ohrenbeichte kirchliche Vorschrift. Die Regel: "Einmal im Jahr" gilt seit dem IV. Laterankonzil im Jahre 1215. Die "große Kirchenbu0e" war jetzt nur noch etwas, um Fürsten, Könige und Kaiser in die Knie zu zwingen, wenn sie den Konflikt mit dem Papst riskierten. Und bald konnte man das auch - leider - mit allerlei Kompensationen ermäßigen - das im 16.Jahrhundert so abscheulich gewordene Ablassunwesen hat hier seine Wurzel.

Von der alten Kirchenbuße unterscheidet sich die Ohrenbeichte wohltätig in drei Punkten: Sie ist wiederholbar. Sie ist mit einer seelsorglichen Gewissensberatung verbunden. Und - das wichtigste - die "Bußwerke" gehen der Lossprechung nicht mehr voraus, sondern folgen ihr. Sie werden, was wir mit einem missverständlichen Begriff "Genugtuung" nennen. In Wahrheit leisten wir keine "Genugtuung" für unsere Sünde - das hat, wenn schon, Jesus Christus ein für allemal getan. Die "Genugtuung" ist faktisch ein Zeichen des Dankes gegen Gott für die ganz unverdiente und ohne Vorleistungen geschenkte Vergebung. Dass sie meist in einem Gebet besteht, hat übrigens auch mit dem Beichtgeheimnis zu tun. Eifrige Beichtväter, die sich zuzeiten um eine Erneuerung des Bußsakramentes bemühten, kamen da bald an ihre Grenzen. Stellen Sie sich einmal vor, ein Mann beichtet einen Ehebruch, und der Beichtvater legt ihm als "Buße" auf, seiner Frau einen großen Blumenstrauß mitzubringen. Die wird bald fragen: "Was hast denn du ausgefressen?"

Univ. Prof. Otto Hermann Pesch

 

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